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Auf
der Suche nach Gefühlen von einst
Wenn es ums Wort geht nicht um Musik und trotzdem gesungen wird, sind
"Barden" am Werk.
Der
Sänger ist kein Virtuose auf der Gitarre - und er will auch keiner
sein. „Erst war die Poesie da, dann kamen die Lieder", sagt
Pawel Gaida, 38-jähriger Musiker aus Rostow am Don. Das Publikum
sieht das genauso: Ein falscher Ton stört niemanden. Die Zuhörer
hängen an den Lippen des Mannes und der singt von, ja wovon wohl?
Liebe, Trennung, Schmerz, Einsamkeit - immmer ums Wesentliche kreisend.
Große Säle füllt
Gaida nicht, aber kleine allemal, denn in Berlin leben 200 000 Russen,
und die Art Musik, die er macht, ist russischer als russisch.
"Autorenlieder" heißen sie übersetzt, wer sie vorträgt,
ist ein "Barde". So mittelalterlich, wie die deutsche
Bedeutung des Worts, sind die Lieder nicht: Ihre Texte können sehr
politisch sein. Die Barden Bulat Okudshawa (eigentlich ein Dichter) und
Wladimir Wysozkij (ein Schauspieler) waren zu Sowjetzeiten Helden der
Opposition und Helden des Volkes, denn ihre Lieder waren voll subtiler
Kritik. Seit die Kommunisten fort sind, haben Pop und Techno die
gesungenen Gedichte verdrängt, doch Russen sind treu. Bis zu 300
000 Menschen besuchen jedes Jahr ein Bardenfestival in einer Stadt nahe
Samara an der Wolga, auch die Exilrussen halten an der Tradition fest.
Oberall in Deutschland
gibt es Bardenklubs, bei denen sie sich treffen, sich ihre Lieder
vorsingen, oder die zu Hymnen gewordenen Stücke anderer vortragen.
In Berlin ist der erste Sonnabend des Monats ihr fester Termin, um fern
der Heimat von der Heimat zu träumen. "Vielleicht kann man
erst über ein Land schreiben, wenn man draußen ist",
sagt Gaida. Vielleicht müsse man Russland verlassen, um zu wissen,
was man fühlt. Auch Nostalgie sei ein wichtiges Motiv, die
Autorenlieder zu pflegen. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit treibe
viele Russen um. "Ich kenne einige, die jeden Monat ihren Koffer
packen - und wieder auspacken", sagt Gaida.
An diesem Wochenende können
sie beruhigt in Berlin bleiben: Da haben die Barden ein Festival
organisiert, "Russkij Akzent" in der Schönholzer Heide in
Pankow. Rund 1000 Menschen kamen im vergangenen Jahr, um zu zelten, am
Lagerfeuer zu singen und vor allem, um russische Stars der Szene wie
Jurij Kukin zu hören.
"Es sind Leute mit
einem gewissen intellektuellen Niveau, die zu solch einem Festival
kommen", sagt Jurij Zaika. Der 27-jährige Klavierlehrer aus
Kasachstan hat das Treffen organisiert. Auch er ist ein überzeugter
Barde - singt allerdings keine eigenen Lieder. Das kommt beim Publikum
oft besser an, denn schließlich geht es darum, Gefühle und
Stimmungen von einst wiederzufinden. Auch deutsche Sänger sind
zum Festival eingeladen. Wer will, kann dort spontan auftreten. Die
Russen wollen sich nicht isolieren. Pawel Gaida wird aus diesem Grund
demnächst sogar berühmte russische Bardenlieder auf Deutsch
vortragen - und Dias der Sänger der Originale an eine Wand hinter
der Bühne projizieren - um herüberzubringen, dass es um mehr
geht als nur ein lied.
Barden-Festival: 25. bis 27. Mai,
Schönholzer Heide in Pankow (S-Bhf. Schönholz, Busse 150 und
155); Tel.: 703 55 39 (Jurij Zaika) oder www.berloga.de.
Pawel Galda tritt am 8. Juni um 21 Uhr im Kulturhaus Mitte,
Auguststr. 21 auf.
Von Mechthild Henneke.
http://www.berlinonline.de/wissen/berliner_zeitung/archiv/2001/0523/lokales/0047/
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